Sitzung: 19.02.2018 Ausschuss für Arbeit und Soziales
Beschluss: einstimmig beschlossen
Vorlage: 0361/2018
Beschluss:
Der Einrichtung der
Hebammenzentrale wird unter Gewährung eines Zuschusses i.H.v. bis zu 60.000 €
zugestimmt.
Landrat Ambrosy begrüßt Frau
Christina Harms-Janßen als Kreishebamme und Herrn Frank Germeroth als
Geschäftsführer der Friesland-Kliniken, sowie Herrn Dr. Christoph Reiche als
Chefarzt der Abteilung Geburtshilfe und Gynäkologie vom St. Johannes-Hospital
in Varel.
Er weist auf die aktuelle
Problematik in der Berufsgruppe der Hebammen hin.
Aufgrund der hohen Verantwortung,
der nicht planbaren Arbeitszeiten, der steigenden Versicherungsprämien und
eines bundesweiten schwierigen Vergütungssystems fehle es an Nachwuchs.
Um die aktuelle Situation ein
wenig zu entlasten, habe der Landkreis Friesland das Konzept für eine
Hebammenzentrale entwickelt.
Die Trägerschaft liegt beim St.
Johannes Hospital in Varel und die Finanzierung beim Landkreis Friesland. Es
ist zunächst eine Befristung von zwei Jahren vorgesehen, sowie eine Evaluierung
des Projektes.
Vorerst sei man von Kosten in Höhe
von 60.000 Euro ausgegangen, diese konnten mittlerweile jedoch auf 31.900 Euro
reduziert werden. Sollte eine höhere Summe für Projekte in der Hebammenzentrale
nötig sein, werde man noch einmal an dieses Gremium herantreten.
Am 15.02.2018 sei das Projekt
bereits im Lenkungsausschuss der Gesundheitsregion JadeWeser vorgestellt
worden, welches dort große Zustimmung bekommen habe.
Sowohl der Landkreis Wesermarsch
als auch der Landkreis Wittmund hätten bereits Interesse an einem solchen
Projekt bekundet.
Herr Dr. Fuchs stellt als
wichtigen Punkt für das Projekt den demographischen Wandel und die Veränderung
familiärer Strukturen heraus, da hierdurch ein immer größerer Beratungsbedarf
entstehe, der zum Beispiel von den Kinderärzten in der Region nicht abgedeckt
werden könne.
Die Kreishebamme Frau Harms-Janßen
erläutert, dass es sich momentan für Schwangere oft schwierig gestalte, eine
Betreuung durch eine Hebamme zu erhalten. Es müssten oftmals viele Anrufe bei
verschiedenen Hebammen getätigt werden, um sowohl an einem
Geburtsvorbereitungskurs teilnehmen zu können als auch eine Betreuung für das
Wochenbett und die Rückbildungsgymnastik zu erhalten. Hier erfolge größtenteils
eine Betreuung durch insgesamt drei verschiedene Hebammen.
In 2017 könne positiv vermerkt
werden, dass im Landkreis Friesland insgesamt mindestens 760 Kinder zur Welt
kamen (eine endgültige Zahl steht noch aus). Dies sind bereits 30 Kinder mehr
als im Jahr 2016.
Die Hebammenzentrale diene als
zentrale Koordinationsstelle von Hebammenangeboten aus Friesland und könne
diese Angebote gezielt und transparent an Frauen aus Friesland, sowie an
Frauen, die in den Friesland-Kliniken entbunden haben, vermitteln.
Außerdem könne eine bessere
Vernetzung unter den Hebammen selbst erreicht werden, wie zum Beispiel die
Organisation einer Vertretung während der Urlaubs- und Ferienzeiten. Hier
würden insbesondere die Sommerferien ein Problem darstellen.
Es seien bereits jetzt 28 Hebammen
in der Kartei der Hebammenzentrale gelistet. Diese seien nicht alle im
Landkreis Friesland wohnhaft, aber tätig.
KTA Ramke fragt, wie viele
Hebammen es insgesamt im Landkreis Friesland gibt und ob es aufgrund der hohen
Versicherungsleistungen spürbare Einschränkungen gibt.
Frau Harms-Janßen erläutert, dass
zurzeit im Landkreis Friesland 28 Hebammen gelistet seien (sechs angestellte
Hebammen ohne freiberufliche Tätigkeit, acht angestellte Hebammen mit
freiberuflicher Tätigkeit, zwei Beleghebammen im Landkreis Wittmund, zehn
freiberuflich tätige Hebammen und zwei Hebammen in Elternzeit).
Bezüglich der Nachwuchsgewinnung
gibt Frau Harms-Janßen ein prägnantes Beispiel. Zu Beginn ihrer Ausbildung im
Jahre 2000 habe es auf 12 freie Stellen 1200 Bewerbungen gegeben, von denen ca.
60 zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Alle Bewerberinnen waren
Abiturientinnen.
Im Jahr 2018 gebe es für 12 freie
Plätze ca. 80 Bewerberinnen. Diese hätten in den seltensten Fällen ein Abitur.
Zudem bestehe die Schwierigkeit, dass das 18. Lebensjahr vollendet sein muss.
Bis zum Jahr 2020 müsse die
Ausbildung der Hebammen akademisiert werden (EU-Richtlinie). Dieses sei
dringend erforderlich, da die Ausbildungsdauer von drei auf vier Jahre erhöht
werden müsse, um die Qualität zu wahren und weil Deutschland, zusammen mit
Lettland und Litauen die einzigen Länder innerhalb der EU seien, in denen es
noch keine Akademisierung gebe.
Eine deutsche Hebamme könne mit
ihrem Abschluss somit zum jetzigen Zeitpunkt nicht zum Beispiel in Frankreich
tätig werden.
Herr Germeroth stellt das Konzept
der Hebammenzentrale weiter vor und verdeutlicht, dass sie nur eine
koordinierende Funktion habe, um Angebote an suchende Frauen zu vermitteln.
Es könne keinerlei Beratung der
Mütter erfolgen. Dies müsse im Vorfeld auch schriftlich festgehalten werden, da
es insbesondere in den Krankenhäusern zu einer vermehrten Anzahl von
unbegründeten Schadensersatzansprüchen komme und solche Fälle in der
Hebammenzentrale durch klare Regelungen verhindert werden müssten.
Die Hebammenzentrale werde in
einem Raum am Krankenhaus in Varel eingerichtet, da dort auch eine
gynäkologische Abteilung und Geburtshilfe vor Ort sei.
In naher Zukunft werde eine Firma
mit der Erarbeitung einer Internetpräsenz für das Projekt beauftragt. Außerdem
werde ein Werbeflyer zur Auslage, zum Beispiel in gynäkologischen Praxen
erarbeitet.
Ein realistischer Start des
Projektes sei am 01.05.2018.
Herr Dr. Reiche schließt sich
inhaltlich seinen Vorrednern an und betont die Wichtigkeit einer gemeinsamen
Anlaufadresse.
Die Arbeit der Hebammen erfordere
einen hohen persönlichen Einsatz, der zusätzlich durch hohe
Versicherungsprämien, ein anspruchsvolles Qualitätsmanagement (QM) und
behördliche Auflagen erschwert werde. Hier sei es wichtig, durch eine Vernetzung
der Hebammen diesen Belastungen entgegenzuwirken, um so die Aufgabe des Berufes
zu vermeiden.
Herr Dr. Reiche rechnet durch die
Vernetzung der Hebammen mit sehr hohen Synergieeffekten, aus denen weitere
Projekte und Angebote vor Ort entstehen könnten.
Des Weiteren solle es für die
Hebammen Unterstützung im Bereich des QM geben. Dieses mögliche Zusatzmodul
habe bereits für Aufmerksamkeit in Süddeutschland gesorgt und es sei Hilfe und
Unterstützung angeboten worden.
Herr Dr. Reiche betont den
positiven Effekt und die positive Aufmerksamkeit für unsere Region.
KTA Wilken berichtet, dass es in
diesem Bereich bereits Aktivitäten im Vorwahlkampf der Kommunalwahlen 2016 vom
Bündnis 90 der Grünen gegeben habe, um die Hebammen zu unterstützen. Hier habe
es jedoch noch keine konkrete Idee gegeben, wie den Hebammen geholfen werden
kann. Die SPD und die FDP hätten dies unterstützt.
KTA Wilken hält eine zentrale
Koordinierungsstelle für sehr wichtig. Die Befristung von zwei Jahren sollte
hier nicht zu eng ausgelegt werden.
Landrat Ambrosy antwortet
daraufhin, dass die Befristung zunächst für eine Evaluation des Projektes nötig
sei.
KTA Sudholz fragt, wo genau das
Problem liege, eine Hebamme zu finden. Vor einigen Jahren seien die Frauen noch
durch die Krankenhäuser oder Kinderärzte an die Hebammen weitergeleitet worden.
Gibt es einen Dissens zwischen den Kinderärzten und den Hebammen? Ihr fehle
hier eine Stellungnahme der Kinderärzte.
Außerdem möchte KTA Sudholz
wissen, ob es nicht sowieso schon eine Vernetzung unter den Hebammen gebe. Vor
einigen Jahren sei man bei Krankheit der eigenen Hebamme automatisch an eine
Vertretung weitergeleitet worden. Was hat sich hier so gravierend geändert,
dass das anscheinend nicht mehr der Fall ist?
Kann der vorhandene Vermittlungsbedarf
nicht auch durch die Krankenhäuser abgedeckt werden?
Frau Harms-Janßen entgegnet
darauf, dass die Krankenhäuser diese Arbeit nicht leisten könnten, da sie
selbst viel zu viele Aufgaben hätten.
Es seien für die Zahl der
Schwangeren viel zu wenige Hebammen da. Dies liege vor allem auch daran, dass
der Landkreis Friesland flächenmäßig relativ groß sei.
Vor einigen Jahren sei eine
Entlassung nach der Entbindung ohne Hebamme nicht möglich gewesen. Heutzutage
betreffe dies nahezu 20 % der Frauen.
Der erste Kinderarztbesuch zur
Vorsorgeuntersuchung falle in der Regel zwischen der 10. und 12. Woche an,
sodass die Besuchszeit während des Wochenbetts durch eine Hebamme schon vorbei
sei. Eine Vermittlung könne dann nicht mehr stattfinden.
Die gynäkologischen Praxen würden
die Frauen oft zu spät informieren, sodass dann bereits alle Hebammen
ausgebucht seien.
Zurzeit würden alle Frauen, die
bislang keine Hebamme gefunden haben, ehrenamtlich von Frau Harms-Janßen an die
Hebammen vermittelt werden. Jede Woche würden mindestens fünf verzweifelte
Frauen bei ihr anrufen. Zurzeit sei sie die einzige, die als Kreishebamme über
eine Übersicht verfüge, aus der hervorgehe, wo die Kolleginnen wohnen, um die
Schwangeren möglichst wohnortnah zu vermitteln.
In der Stadt Wilhelmshaven werden
laut Frau Harms-Janßen in den nächsten zehn Jahren 50 % der Hebammen in den
Ruhestand gehen. In Friesland sei die Situation ähnlich, da kein Nachwuchs da
sei.
KTA Sudholz merkt an, dass durch
eine Koordinierungsstelle der Mangel an Hebammen nicht gestoppt werden könne.
Herr Dr. Reiche führt aus, dass
durch diese Vernetzung und Unterstützung der Hebammen, insbesondere im
QM-Bereich verhindert werden soll, dass weitere Kolleginnen aufgrund der
zunehmenden Bürokratie durch das QM und der schwierigen Arbeitszeiten aufhören.
Viele Hebammen hätten den Wunsch,
als Angestellte in einer Klinik tätig sein, würden eine freiberufliche
Tätigkeit jedoch zunehmend ablehnen.
Herr Dr. Reiche betont noch einmal
die positiven Auswirkungen auf den Landkreis Friesland. So erhalte die Klinik
in Varel bereits Bewerbungen von den umliegenden Landkreisen und es seien Ärzte
aus Süddeutschland an einer Mitarbeit im Bereich des QM interessiert.
Frau Harms-Janßen unterstützt
Landrat Ambrosy in seiner Aussage, dass bereits viele andere Städte und
Landkreise das Projekt beobachten und Interesse zeigen, so zum Beispiel die
Stadt Emden, die Landkreise Leer, Aurich und Wesermarsch.
Der Landkreis Ammerland und die
Stadt Oldenburg haben bereits eine Hebammenzentrale.
Dadurch könne hier im Norden eine
noch bessere Vernetzung der Angebote erfolgen. Dies gebe es so in Deutschland
noch nirgendwo.
Landrat Ambrosy betont nochmals,
dass dieses Projekt lediglich der Anfang vieler Synergieeffekte sei.
Insbesondere im ländlichen Raum
müsse auch eine gewisse „Streckenplanung“ bedacht werden, die jede Hebamme
pendeln müsse. Dem könne durch eine bessere Koordinierung und Bündelung der
Angebote entgegen gewirkt werden.
Außerdem stellt Landrat Ambrosy
eine spätere Verankerung des Projektes in der Gesundheitsregion JadeWeser in
Aussicht. Ziel und Absicht könne es jedoch nicht sein, dass Hebammen aus
anderen Landkreisen abgeworben werden.
Frau Wittke unterstreicht mit
einem persönlichen Beispiel ihrer Tochter die Notwendigkeit einer
Hebammenzentrale.
KTA Ramke macht deutlich, dass die
Hebammenzentrale ein erster positiver Anfang sei. Dennoch sollten alle Parteien
diesen Anfang nutzen, um das Thema auch auf Landes- und Bundesebene präsenter
zu machen und die Situation der Hebammen insgesamt zu verbessern.
KTA Wilken unterstützt die Aussage
von Frau Wittke. Es gehe nicht nur darum, die Situation der Hebammen zu
verbessern, sondern auch darum, den Bürgerinnen und Bürgern in einer solchen,
nicht immer leichten Lebenslage, die Angebotssuche zu erleichtern.
KTA Sudholz merkt an, dass es nach
einem Jahr einen Evaluationsbericht geben sollte.
KTA Wilken sagt, dass laut der
Vorlage eine Evaluation nach zwei Jahren erfolgen solle und dass diese Zeit
auch eingehalten werden sollte.
Landrat Ambrosy schlägt vor, dass
es in den jährlichen Haushaltsberatungen einen Sachstandsbericht geben werde
und die eigentliche Evaluation nach zwei Jahren erfolge.
Frau Harms-Janßen bedankt sich
nochmal für die Unterstützung des Projektes, sie sei gerne bereit, jederzeit
einen Sachstandsbericht zu geben.
Abstimmungsergebnis:
Nach Aufruf der Vorlage durch die
Vorsitzende wurde der Beschlussvorschlag einstimmig angenommen.